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Vom Zaudern. Motive des Aufschubs, Übergangs und Abschweifens

25.05.2013 - 04.08.2013

Zögern, Stocken, Unterbrechen, Innehalten, auf der Stelle Treten , Unentschiedenheit, Richtungslosigkeit : All dies sind Momente und Zustände des Zauderns, die in einer dur chökonomisierten Welt als störend, wenn nicht gar als bedrohlich empfunden werden. Sie blockieren, so glaubt man, die Handlungsfähigkeit, den reibungslosen Ablauf der Dinge und somit Produktivität und Wachstum.
Der Philosoph und Literaturwissenschaftler Joseph Vogl dagegen begreift das Zaudern nicht als eine Aufhebung sondern als „Schatten des Handelns“, als einen „Ereignisrückstand im Ereignis“. An dieser Schwelle zwischen Handeln und Nichthandeln macht er einen Zwischenraum der reinen „schöpferischen Potenz und Kontingenz“ aus. Zaudern ist in diesem Sinne etwas, das sich an Fugen, Schwellen und Scharnieren, an Abzweigungen und an den Abzweigungen von Abzweigungen ansiedelt – dort, wo alles noch möglich ist und alles in Frage steht. Zugleich verweist Vogl auf die Widerständigkeit, die dem Zaudern innewohnt. Denn es wendet sich „gegen die Unwiderruflichkeit von Urteilen, gegen die Endgültigkeit von Lösungen, gegen die Bestimmtheit von Konsequenzen ... und das Gewicht von Resultaten... Das Zaudern hegt einen Komplexitätsverdacht; es folgt einer Arithmetik, die vom Hundertsten ins Tausendste geht“ (Joseph Vogl).
In den Künsten sind Motive des Zauderns scheinbar allgegenwärtig: Von Hamlets Zweifel an Sein und Nicht - Sein, über jenes „Birnli“ der Brüder Grimm, das einfach nicht vom B aum fallen will, bis zu Bartleby, dem Schreiber, der immerzu „lieber nicht möchte“.
In der Kunst und insbesondere der zeitgenössischen Kunst ist das Zaudern aber nicht nur als Motiv sondern auch als ästhetische Methode und Struktur zu finden. So zum Beispiel im Film als sogenannter „temps mort“, das heißt als jener von Michelangelo Antonioni eingeführte leere Moment und Schwebezustand , an dem die Geschichte nicht weiter geht, oder in der Videokunst als Loop, der Anfang und Ende der Erzählung beständig aufschiebt.
KünstlerInnen arbeiten überdies mit weit verzweigten Referenzsystemen, die „vom Hundertsten ins Tausendste“ führen, sowie mit Methoden der Wiederholung, Verschiebung und Permutation. Sie produzieren multiple Lesweisen und setzen die BetrachterInnen immer wieder Situationen der Unentscheidbarkeit, des „sowohl als auch“ aus. Es geht um das Abschweifen anstelle von Zielstrebigkeit, um das Unerwartete anstelle des Kalkulierbaren , um das Mehrdeutige anstelle von Eindeutigkeit. In gewisser Weise ist das Zaudern auch eine queere Methode.
Das sich Verzetteln und auf der Stelle Treten, Verästelungen und Schlaufen scheinen die zwei in einander verschränkten Pole des Zauderns zu sein. Es ist wie mit jener Schnecke von Christian Morgenstern, die sich nicht entscheiden kann, ob sie in ihrem Haus bleiben oder aus dem Haus herausgehen soll. Sie ... „verfängt sich in ihren eigenen Gedanken oder vielmehr diese gehen mit ihr dermaßen durch, dass sie die weitere Entscheidung der Frage verschieben muss“ (Christian Morgenstern).
Die Ausstellung Vom Zaudern setzt an diesen beiden Polen an. Sie greift das Zaudern weniger als Thema denn als Methode der zeitgenössischen Kunst auf und untersucht es entlang der Motive von Aufschub und Übergang, Ab - und Umherschweifen.

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