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Stadtmuseum Hattingen


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Di,Mi 11.00-18.00 Uhr
Do 15.00-20.00 Uhr
Fr-So 11.00-18.00 Uhr

Katharina Sieverding: Public Matter (Fotografische Arbeiten)

23.11.2008 - 25.01.2009
Katharina Sieverding, 1944 in Prag geboren, zählt zu den herausragenden Künstlerinnen unserer Zeit. Im Mittelpunkt ihrer Arbeit steht die Fokussierung auf den Menschen, seine Selbst- und Weltwahrnehmung im physischen und psychischen Umfeld sowie die Auseinandersetzung mit den bildproduzierenden Massenmedien. Die Künstlerin bedient sich in souveräner Weise analoger wie digitaler Prozesse und experimenteller Kombinationen von technischen, chemischen und virtuellen Produktionsweisen. Sie gilt als Pionierin der Fotokunst. Begonnen hat ihre künstlerische Karriere am Theater, wo sie an renommierten Häusern als Assistentin und Schülerin des Bühnenbildners Theo Otto arbeitete, bevor sie 1967 von Joseph Beuys höchstpersönlich in seine Klasse an der Düsseldorfer Akademie geholt worden war. Von Beuys beeinflusst "der immer da war, uns forderte und Leistung erwartete" führte sie seinen bahnbrechenden materialistischen Wissenschaftsbegriff weiter. Hierzu wählte die junge Sieverding Medien wie die künstlerische Fotografie, die Dia-Projektion und den Film. Während die Fotografie aus dem heutigen Kunstbetrieb nicht mehr wegzudenken ist, war Sieverding in den Siebzigern mit ihren chemisch manipulierten, verfremdeten, überbelichteten und solarisierten Großaufnahmen eine Vorreiterin neuer künstlerischer Ausdrucksformen. Wesentlicher Ausdrucksträger ihrer Selbstporträts sind die Augen: Magisch, groß, stechend der Blick. Allerdings tritt das eigentlich Charakteristische des Porträts, das Private, weitestgehend hinter einer Überzeichnung ins Maskenhafte zurück: "Es geht mir bei den Bildern nicht ums Wiedererkennen," sagt die Künstlerin. Sieverdings äußere Erscheinung, in Serien minimal variiert, mal in rotes Licht getaucht oder das Gesicht mit Goldstaub bedeckt - hier gerät das eigene Porträt zum Instrument auf der Suche nicht nach dem "ich", sondern nach dem "wir". "Sichtbar machen, was sich entzieht," kann als Leitsatz ihrer Arbeiten gelten, denn sie stellt weitreichende Fragen nach Identität, Strukturen, Differenz, Ort, Migration, Hybridität, Nation, Repräsentation, Sprache und Geschichte. In der Plakataktion "Die Pleite" 2005 bedient sich die Künstlerin "Bilder" aus zweiter Hand: Angeregt durch die gleichnamige Zeitschrift von George Grosz und John Heartfield aus den 1920er Jahren simuliert Sieverding auf dem Großplakat eine totale Sonnenfinsternis. Angesichts von etwa 5000 "Pleiten" im Jahr 2005 eine vernichtende Diagnose, die im Jahre 2008 ihre Aktualität nicht verloren hat. Auf der Suche nach gesellschaftlichen Strukturen, Wissensordnungen und kulturellen Formationen betreibt Sieverding eine Art Bildwissenschaft: sie zerlegt Bilder, dekonstruiert sie, um nachvollziehen zu können, wie die einzelnen Bestandteile organisiert und instrumentalisiert sind. Diese Entschlüsselung kultureller Codes ist zentrales Thema einer Reihe, die sie bezeichnender Weise nicht Decode, sondern "Encode" nennt. Als encoding wird der Prozess des Informationstransfers von einem in ein anderes Format bezeichnet. Durch Montage, Verschiebung, Aufspaltung und Überblendung gehen verschiedene Bild- und Bedeutungsebenen eine Synthese ein, deren neuer Rhythmus sich zwischen Tiefenraum und Bildfläche neu konfiguriert und eine komplexe Struktur eingeht. Die Künstlerin zitiert immer wieder auch ihr eigenes Werk und generiert aus ihm neue Bildfindungen, die durch ein permanentes kritisches Hinterfragen auch gesellschaftspolitische und soziokulturelle Strukturen des Kunstbetriebs freilegen. Eines ist sicher: Katharina Sieverding ist keine Fotografin im herkömmlichen Sinne. Sie bildet nicht Realität ab, sondern konstruiert durch die Verwendung und Kombination inhaltlich aufgeladener, symbolhaltiger Zeichen neue Bildwelten. Sie verlässt die sogenannte Objektivität von Fotografie und zerlegt, analysiert und seziert bis zum Kern der Dinge und legt somit die Mechanismen unserer Wahrnehmung frei. Dort wo wir in einem Höhlengleichnis von Platon die Schatten an der Wand bewundern, dreht Katharina Sieverding den Kopf und zeigt uns das, was die Oberfläche verbirgt. "Ich möchte nicht irgendwann mein Leben beschließen und sagen: ich war Künstlerin des 20. Jahrhunderts und hab' mich um die Kernereignisse überhaupt nicht gekümmert."

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