© andreas130 / www.fotolia.de
KULTURpur - Wissen, wo was läuft!

Kunsthalle Bern


Helvetiaplatz 1
3005 Bern
Tel.: 031 350 00 40
Homepage

Öffnungszeiten:

Di-Fr 11.00-18.00 Uhr
Sa,So 10.00-18.00 Uhr

Dirk Bonsma 1986-2013

14.12.2013 - 12.01.2014

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts schwappte die amerikanische Popkultur in Wellen über den alten Kontinent. Verändert wurde die Art, wie wir uns kleiden, wie wir gehen, reden und tanzen. Die meisten dieser Wellen waren so hoch wie allgemein gültig: Sie bereiteten den Nährboden für eine paneuropäische Jugendkultur, von Elvis bis Kurt, die erst in den letzten Jahren wieder langsam verebbt. Andere Wellen waren eigenartiger, offenbarten ein ganz eigenes Wesen; spezialisiert und höchst raffiniert ermöglichten sie hybride Kunstwerke, die von persönlichen Geschichten und regionalen Unterschieden durchdrungen waren. Die Poster-Kunst von Dirk Bonsma ist ein solches Hapax – d.h. ein Wort, das nur ein einziges Mal in einem Werk oder einer ganzen Sprache vorkommt. Oder, wie in diesem Fall, ein gezeichnetes ikonographisches und stilistisches Repertoire, das sich von den kulturellen und geographischen Horizonten abhebt, die seine Entstehung erst ermöglicht haben.
Diese Geschichte, die um 1980 in Bern beginnt, ist eng an das amerikanische Revival von Garage Musik und Psychedelic Rock gebunden – mit Bands wie The Miracle Workers, Thee Fourgiven oder Pussy Galore – und an die Veranstaltungsorte und Szenen in der Schweiz, die sich diese Sounds aneignete. Zu der Zeit war Dirk Bonsma aktives Mitglied von Project Blue, einer Gruppe von Konzert- veranstaltern, die viele dieser Bands einem Schweizer Publikum erstmals vorstellte. Bonsma gestaltete die Flugblätter/Flyers und Poster. Gleichzeitig entstand eine einheimische Musikszene mit Bands wie Bishop’s Daughter oder den Lombego Surfers, mit denen Dirk Bonsma bis heute zusammenarbeitet. Aus dem Erleben von Live-Musik entstand ein transatlantischer Dialog, zuerst in provisorischen Räumen wie Das Boot in Bern oder dem Sedel in Luzern, später in einem Netzwerk von alternativen Kulturzentren, die in der zweiten Hälfte der 80er endlich ihre Türen öffneten und einen frischen Wind aufkommen liessen, der seither fast gänzlich abgeflaut ist.
Gleichzeitig mit der Musik kam eine andere Welle aus den USA angerollt: die Underground-Comics, die Dirk Bonsma über das deutsche Magazin U-Comix entdeckte. Wir sollten uns vor Augen halten, wie zutiefst fremd diese gezeichnete narrative Kultur für das deutschsprachige Europa war, das kaum über eine eigene Comic-Tradition verfügte. Die Inhalte der U-Comix stammten mehrheitlich von amerikanischen, holländischen und französischen Zeichnern; aus Ländern also, wo sich zwischen der Musik- und der Comic-Szene schon längst starke Verbindungen etabliert hatten. In Kalifornien etwa wurden wichtige Vertreter der Gegenkultur der 60er Jahre, zum Beispiel Victor Moscoso oder Rick Griffin, zu bedeutenden Designern von Rockpostern, während ein Jahrzehnt später der französische Comiczeichner Serge Clerc handgezeichnete Illustrationen für das Musikmagazin NME ausführte. Dieser Austausch war in Bern nicht die Regel, und Dirk Bonsmas relative Isolation mag teilweise die exzentrischen Eigenheiten erklären, die seine comic-inspirierten Zeichnungen so unverkennbar machen.
Ein weiterer Unterschied liegt in der inneren Stimmigkeit von Dirk Bonsmas Praxis, die sowohl der Musik wie der Zeichnung verpflichtet ist. Von Garage bis Psychedelic Rock, von Garage bis Punk – immer geht es darum, Stellung zu beziehen. Eiferte der europäische Punk musikalisch den amerikanischen Bands nach, entwickelte er visuell eine wahrhaft unabhängige und reichhaltige Kultur, die jedoch das Détournement von existierenden Bildern der handgestrickten Erfindung fiktionaler Welten vorzog. Dirk Bonsmas Schaffen schlug sich mit der Zeit auf die Seite einer immer radikaleren Psychedelia; so gestaltet er heute Poster für experimentelle Bands wie die Acid Mothers Temple aus Japan oder die Young Gods aus Freiburg.
Dirk Bonsmas Stil und ikonographisches Repertoire teilen offensichtliche Gemeinsamkeiten mit der jüngeren Generation von alternativen amerikanischen Comiczeichnern wie Charles Burns oder Dan Clowes, die wie Bonsma mit der Arbeit von historischen Protagonisten der Gegenkultur wie Robert Crumb oder Kim Deitch aufgewachsen sind. Aber wie bei einem lange verloren geglaubten europäischen Vetter wird die gemeinsame Erbschaft von einer völlig anderen alltäglichen Realität durchdrungen: «Die alten Meister», sagt Dirk knapp. Nachvollziehbar. Aber da ist noch ein Umstand, dem ich kaum Beachtung schenkte, bevor ich vor einem Jahr nach Bern gezogen bin: eine besonders dunkle und witzige, karnevaleske Stimmung – vom Ungeheuer mit seinem seltsamen Spitzhut, das gegenüber vom Zytgloggeturm Kinder frisst, bis zu den Dämonen, die an den Türen des Berner Münsters Sünder in die Flammen der Hölle ziehen. Eine parallele, phantasmagorische Geschichte der Mauern der Stadt, zu der Dirk Bonsmas Poster seit über drei Jahrzehnten freudig beitragen.

KULTURpur empfehlen