Raumansicht der Ausstellung "Kunststipendien der Stadt Zürich 2019", Foto: Zoe Tempest
KULTURpur - Wissen, wo was läuft!

Helmhaus

Foto: fbm studio
Foto: fbm studio
Raumansicht der Ausstellung "Kunststipendien der Stadt Zürich 2019", Foto: Zoe Tempest
Raumansicht der Ausstellung "Kunststipendien der Stadt Zürich 2019", Foto: Zoe Tempest

Limmatquai 31
8001 Zürich
Tel.: 044 415 56 77
Homepage

Öffnungszeiten:

Di-So 11.00-18.00 Uhr
Do 11.00-20.00 Uhr

WORLD IMAGES 6

11.12.2015 - 21.02.2016

Wir sehen die Welt in Bildern. Und entwickeln daraus unser Weltbild. WELT – BILDER, eine Ausstellungsreihe über aktuelle, internationale Fotografie, bietet seit zehn Jahren Möglichkeiten, sich anderen und anderem, aber auch sich selbst anzunähern. WELT – BILDER 6 zielt auf den Menschen ab: wie er sich orientiert und Halt sucht, wie er manipuliert und auf sich selber zurückgeworfen wird, wie er Gemeinschaft und sich selbst erlebt.
Die WELT – BILDER Ausstellungen im Helmhaus, jeweils im Winter, sind zu einer Tradition geworden: Zum sechsten Mal innert zehn Jahren eröffnen sich Einblicke in Bilder aus dieser Welt. Und zeigen, wie Künstlerinnen und Künstler die Welt sehen. Mit jeder Ausstellung nahm die Besucherzahl zu: In unsicheren Zeiten wie diesen steigt das Bedürfnis, mehr über die Welt zu erfahren, als in den Massenmedien steht. Künstler zeigen die Welt anders: Ihr Blick geht den Dingen auf den Grund, wagt Subjektivität und befragt auch die eigene Existenz.
Geografisch bereist die sechste Ausgabe alle fünf Kontinente und Halbkontinente mit Ausnahme von Australien, begibt sich in fünfzehn Länder Afrikas, nach Jordanien, Russland, China, Brasilien, in die USA, nach Kanada und schliesslich nach Schweden, Belgien, Deutschland, Italien und zurück in die Schweiz. Thematisch zielt sie auf den Menschen ab: wie er sich selbst sieht, wie er sich in der Begegnung mit seinen Nächsten zeigt und wie er sich im gesellschaftlichen Umfeld bewegt.
Die intensive Begegnung mit dem einzelnen, exemplarischen Bild widersetzt sich der vielfach konstatierten Bilderflut. Fotografie ist ein ideales Medium, um sich mit dem Verhältnis zwischen dem Menschen und dem, was ihn umgibt zu beschäftigen. Indem sie Raum und Zeit begrenzt, fördert sie die konzentrierte Auseinandersetzung. Es ist eine transformierte, zum Bild gemachte Realität, die sich hier zeigt. Sie dokumentiert – aber sie dokumentiert eine Vorstellung von der Realität, die subjektiv ist. Die Kamera als «verlängertes Auge» vertieft sich in das, was das Interesse der Fotografierenden weckt. Und bietet es den Betrachterinnen und Betrachtern an, um Reflexionen in Gang zu bringen. Was uns zunächst fremd erscheint, führt uns letztlich auf uns selbst zurück.
Diese existenzielle Dimension ist den ausgestellten Arbeiten eigen: Es sind Bilder, die uns mit uns selbst konfrontieren. So machen sie zum Beispiel bewusst, dass in der Grossstadt genauso wie im suburbanen No Manʼs Land und wie im Urwald ein Gefühl von Verlorenheit droht. Dass es aber auch darum geht, diesem Gefühl mit offenen Augen zu begegnen: sich in ein Verhältnis zu setzen mit dem, was verunsichert und manipuliert. Die Ausstellung eröffnet auch weniger angespannte Beziehungen zwischen Mensch und Natur und zwischen Mensch und Kultur. Entspannte Beziehungen zwischen Menschen: dann, wenn Offenheit da ist, wenn Vertrauen entgegengebracht wird, wenn Austausch statt Reserviertheit gepflegt wird – sei das innerhalb der (Gross-)Familie, sei es im sozialen Gefüge eines Dorfes oder einer Stadt. Dass dieser Umgang mit anderen auch einen entsprechenden Umgang mit sich selbst voraussetzt, zeigen im Prinzip alle Bilder – denn jede Fotografie reflektiert nicht nur ihr Motiv, sondern auch die Sicht des Künstlers. Besonders augenfällig wird das, wenn eine Fotografin ihre Kamera auf sich selbst richtet.
Die Ausstellung WELT – BILDER 6 ist schliesslich auch formal ein Erlebnis: Das grösste Bild ist fast hundert Quadratmeter gross, das kleinste ist ein Abzug im Albumformat 10 x 15 cm. Messerscharfe, grossformatige Prints sind genauso präsent wie atmosphärische Bilder, für die Schärfe kein Kriterium ist. Tapeziert, in schweren Kastenrahmen, ungeschützt an die Wand gepinnt: Viele Präsentationsformen aktueller Fotografie sind im Helmhaus zu sehen.
Die sechs WELT – BILDER Ausstellungen präsentieren seit 2005 nun 49 differenzierte, manchmal auch widersprüchliche Einsichten in einen unerschöpflichen Gegenstand. Wie immer stammen auch diesmal vier Fotografierende aus der Schweiz und vier aus dem Ausland, sind vier Frauen und vier Männer beteiligt. Das langfristige Projekt der beiden Kuratoren Andreas Fiedler und Simon Maurer ist in sechs kommentierten Bildbänden festgehalten, die im Verlag für moderne Kunst erscheinen und mittlerweile auf über tausend Seiten so etwas wie ein Kompendium der zeitgenössischen Fotografie darstellen.
Gleich zu Beginn der Ausstellung WELT – BILDER 6 richtet die junge Schwedin Lina Scheynius die Kamera auf sich selbst: Die Fotografin ist sich ihre eigene Welt, Fotografie ist hier Identitätssuche und Existenzbeweis in einem. Und das Innerste, das Äussere des eigenen Körpers, wird mit der Welt geteilt. Die Ausstellung springt dann nach Afrika: Haben wir ein Bild vom Alltag in Afrika? Die junge Schweizerin Flurina Rothenberger, selber in Afrika aufgewachsen, versorgt uns mit einem Buch voller Bilder, die das Talent dieses Kontinents zeigen, mit Kontrasten umzugehen. Gegenwart ist das Thema der Bildpaare von Paul Graham: Gibt es Gegenwart überhaupt? Der Brite setzt jeweils zwei Bilder aus dem New Yorker Stadtraum nebeneinander. Dazwischen klafft ein Spalt: für die Vergänglichkeit? Gegenwart, Glück, die sich beide nicht fassen lassen: Wie aus dem vorletzten Jahrhundert und doch sehr gegenwärtig erscheint im nächsten Saal die Arbeit von Annelies Štrba über ihre Grossfamilie. Zum ersten Mal überhaupt zeigt die «grand and still young lady» der Schweizer Fotografie Arbeiten auf Papier. Um Erinnerungskultur und eine andere Art der Gemeinschaft geht es beim jungen Schweizer Künstler Gilles Fontolliet. In Sowayma, einem jordanischen Dorf am Toten Meer, hat er zahlreiche Menschen porträtiert und ihnen die entstandenen Bilder geschenkt. Lukas Hoffmann, Schweizer mit Wohnsitz in Berlin, streift durch Vorstädte und Brachen und trifft dort auf abseitige Motive, die er zu Bildern macht. Sträucher und Zäune, demolierte Absperrungen und Schattenwürfe werden zu ebenso konkreten wie abstrakten Bildelementen. Die Holländerin Marike Schuurman, auch sie Wahlberlinerin, widmet ihre Arbeit dem werbebefreiten öffentlichen Raum von São Paulo. Von den Hauswänden verbannt, landet Reklame schliesslich auf dem Rücken von menschlichen Plakatsäulen, die dafür werben, Gold zu Geld zu machen. Die monumentalen Werke des jungen Chinesen Shan Feiming schliesslich handeln von der Verlorenheit in der Natur und zwischen Menschen, von Liebe und Liebesverlust, von Verletzungen und deren Pflege: ein existenzielles, ebenso persönliches wie gesellschaftliches Statement.

KULTURpur empfehlen