Die Photographische Sammlung/SK Stiftung Kultur, Foto: Niklas Rausch
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Die Photographische Sammlung/SK Stiftung Kultur

Die Photographische Sammlung/SK Stiftung Kultur, Foto: Niklas Rausch
Die Photographische Sammlung/SK Stiftung Kultur, Foto: Niklas Rausch
Die Photographische Sammlung/SK Stiftung Kultur, Foto: Niklas Rausch
Die Photographische Sammlung/SK Stiftung Kultur, Foto: Niklas Rausch

Im Mediapark 7
50670 Köln
Tel.: 0221 226 59 00
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während der Laufzeit der Ausstellungen:
Do-Di 14.00-19.00 Uhr

Wilhelm Schürmann: Wegweiser zum Glück / Petra Wittmar: Medebach 2009-2011 / August Sander: New Arrivals. Blick in die Sammlung

30.03.2012 - 12.08.2012
Der Photograph Wilhelm Schürmann (*1946), der heute als Sammler und Kurator für zeitgenössische Kunst international anerkannt ist, verbrachte seine Kindheit und Jugend in der Steinhammerstraße in Dortmund. Nachdem er 1966 sein Elternhaus verlassen hatte, kehrte er zwischen 1979 und 1981 viele Male an den ihm vertrauten Ort zurück und hielt ihn in aller Sachlichkeit, aber auch voller Begeisterung für den dort angetroffenen und über die Zeit kaum veränderten Alltag in über 2.000 Schwarzweißnegativen fest. Die für ihn wichtigsten Motive vergrößerte er und stellte sie in einer Bildreihe von über 180 originalen Handabzügen zusammen: Verschiedene Ansichten der Straße, Fassaden typischer Wohnhäuser, Nachbarschaften, Geschäfte aller Art, ob Reinigung oder Frisör — von innen und außen, Wohnungen, Mobiliar, Einrichtungsdetails wie Stereoanlagen, Pflanzen und dekorative Stillleben; zudem Portraits der von ihm angetroffenen Bewohner und im weiteren Radius, Gärten, Beete und Hinterhöfe, Bahnhofsgelände und angrenzendes Brachland.
Mit dieser Bildreihe schildert uns Schürmann aber nicht nur sein frühes persönliches Lebensumfeld, sondern liefert vor allem bemerkenswerte Bilder aus einer Zeit, als in Deutschland weitaus deutlicher noch die Folgen der Nachkriegszeit wirkten, die Illusionen des Wirtschaftswunders von einer Phase der Ernüchterung überlagert wurden, sich aber eine Form privater Lebenskultur verbreitet hatte, in der man sich fast im wahrsten Sinne des Wortes eingerichtet hatte — ein Klima, das schließlich auch das Leben der nächsten Generationen mitbestimmte, sei es durch eine angepasste oder kritische Haltung.
Durch Schürmanns Blick bestätigt sich die Photographie als hochwirksames Mittel zur Analyse von Wirklichkeit ebenso wie zur anschaulichen Erzählung über persönliche und kollektive Ansichten und Erinnerungen. In aller Konzentration, mit Humor und Selbstironie zeigt Wilhelm
Schürmann Fakt gegebene Lebensverhältnisse wie auch ein unvergessenes Lebensgefühl. Der aus einer Hosentasche hervorblinkende „Wegweiser zum Glück“, Broschüre einer Lotto-Toto Annahmestelle, versinnbildlicht den Ausstellungstitel und ist nur einer der vielen fabelhaft beobachteten Momente.
Im Jahr 2007 hat Wilhelm Schürmann der Photographischen Sammlung/SK Stiftung Kultur, Köln, die betreffende Werkgruppe mit ca. 180 Vintage Prints und über 2.000 Negativen aus dem Projekt als Schenkung übergeben. Die umfangreiche Präsentation in der Photographischen Sammlung/SK Stiftung Kultur bezieht über eine Auswahl der Vintage Prints auch neuabgezogene vom Künstler autorisierte Abzüge ein, die seine neu reflektierte Sicht auf das vor drei Jahrzehnten entstandene Konvolut unterstreichen. Begleitend erscheint im Hatje Cantz Verlag ein umfangreiches Katalogbuch mit einem Text von Gabriele Conrath-Scholl (voraussichtlich Juni 2012).
Die Kunststiftung NRW hat Ausstellung und Buch großzügig gefördert.
Mit der Präsentation des Konvoluts verbindet die Photographische Sammlung/SK Stiftung Kultur erneut die Möglichkeit, einen für die deutsche Geschichte der Photographie wichtigen Werkkorpus aufzuarbeiten und langfristig zu sichern. Im Sammlungsbestand reiht er sich nun ein zwischen weiteren namhaften Positionen dokumentarisch orientierter Photographie, wie Bernd und Hilla Becher, Boris Becker, Joachim Brohm, Ruth Hallensleben, Horst Lang, Gabriele und Helmut Nothhelfer, Albert Renger-Patzsch, Tata Ronkholz, Petra Wittmar und nicht zuletzt August Sander, dessen umfangreiches Archiv samt aller von ihm behandelten Bildthemen für die institutionelle Arbeit einen zentralen Ausgangspunkt darstellt.

Die Bildreihe Medebach 2009—2011 von Petra Wittmar über ihren Geburtsort im Hochsauerland wird mit über 40 Farbphotographien vorgestellt.
Die Photographin hat mit dieser Sequenz ein facettenreiches, vielschichtiges Panorama geschaffen, keineswegs untypisch für viele kleinstädtische Ortschaften und Siedlungen verstreut zwischen den großen Einzugszentren Deutschlands. Ein verbreitetes Wetteifern mit großstädtischen Verhältnissen wird in den Bildern ebenso deutlich wie die natürliche und ungebrochene Anziehungskraft von Himmel und Erde, weiten Feldern, Wiesen und abwechslungsreicher Vegetation. Zwar kommt die Natur niemals ungebrochen vor — meist ist sie von Verkehrswegen zerschnitten, von Bausubstanz oder Zweckkonstruktionen überlagert — doch verbindet sich mit ihr vielfach der Ausdruck erstaunlicher Zeitlosigkeit und poetischer Dimension. Gerade dieses Miteinander unterschiedlicher Prozesse und Energien, die im schlicht daherkommenden Portrait eines ausgewählten Landschaftsstücks, sei es in der Bebauung oder in den natürlichen Gegebenheiten vor Augen geführt werden, macht es besonders spannend, die Bilder en détail zu betrachten. Die spezifischen Merkmale und Einflüsse am Schnittpunkt zwischen Stadt und Land treten einesteils sehr drastisch und kontrastierend hervor, andernteils sind sie oftmals so unmerklich, dass man ihre Ursache oder Eigenheit nur langsam zu ergründen vermag. So klar die Aufnahmen strukturiert sind, so viele und komplexe Fragen werfen sie auf, Fragen nach der Geschichte, Gegenwart und Zukunft angetroffener Situationen.
Die Arbeit bindet an das Projekt Medebach 1979—1983 an, erstmals 2007 in der Photographischen Sammlung/SK Stiftung Kultur ausgestellt. Ein Großteil dieser Photographien befindet sich im Sammlungsbestand der Institution.
Ging es der Photographin bereits in den früheren Schwarzweißaufnahmen von Medebach darum, ein unsentimentales, nüchternes Bild der Ortschaft zu entwerfen, so verdeutlichen die aktuellen Bilder eine noch absichtsvollere Distanznahme, einen vielleicht höheren Grad von Purismus. Im Gegensatz zur vorherigen Serie werden Einblicke in die unmittelbare Privatsphäre der Bewohner vermieden, das gesamte Konvolut ist durch eine relativ gleichbleibend homogene Entfernung zum Gegenstand getragen. „Heimat“ oder das ehemalige Zuhause bilden anscheinend keine offensichtliche Bezugsgröße mehr. Allein dem Ort in seiner eigenwilligen Charakteristik und seinem selbstverständlichen Nebeneinander von aus verschiedenen Zeiten stammenden Gebäuden, kontrastierenden Stilen und Materialien, von Geplantem und Zufälligem und seiner weitläufigen landschaftlichen Umgebung gilt jetzt Petra Wittmars bildnerisches Interesse.
Auf die Nachfrage, was sie denn bewogen habe, sich nach drei Jahrzehnten erneut mit Medebach auseinanderzusetzen, antwortete Petra Wittmar: „Ich war neugierig zu erfahren, wie sich meine eigene Haltung gegenüber dem Gegenstand verändert hat und wie sich das in den Bildern niederschlägt. Eine weitere und letztlich ausschlaggebende Überlegung war die, dass das Thema „Provinz“ in der deutschen Photographie keine so große Rolle spielt, als dass ich hier ein bereits ausgewalztes Terrain betreten würde — kurz: Es erschien mir auch sachlich gerechtfertigt, mich noch einmal dem Ort zuzuwenden.“

Petra Wittmar hat von 1977 bis 1983 an der Universität Essen GHS/Folkwang studiert. Ihre freie photographische Arbeit konzentriert sich, abgesehen vom Projekt Medebach, auf die urban und industriell geprägte Landschaft und die dort vorgefundenen Momente und Konstellationen am Rande von Ballungszentren. Insbesondere im Ruhrgebiet beobachtet sie banal scheinende Stadtbebauungen, Industrie- und Brachflächen, die sich bei näherer Betrachtung als vieldeutige Motive erweisen. Diese Arbeiten realisiert sie parallel zu jenen Projekten, denen sie gemeinsam mit ihrem langjährigen Lebens- und Arbeitsgefährten Ulrich Deimel nachgeht. Einen Schwerpunkt ihrer gemeinsamen Vorhaben bildet die europäische Baukunst der zwanziger Jahre, mit der sie sich seit 1996 befassen.
Die Ausstellung Petra Wittmar. Medebach 2009—2011 wird von einer zweisprachigen Publikation (Steidl Verlag Göttingen) begleitet, mit einem Gespräch zwischen Petra Wittmar und Gabriele Conrath-Scholl. Die Publikation erscheint mit Förderung der Kunststiftung NRW.
In den beiden Ausstellungskabinetten stellt die Photographische Sammlung/SK Stiftung Kultur ausgewählte Neuerwerbungen zum Werk von August Sander (1876—1964) vor. Diese konnten über die Jahre sowohl aus eigenen Mitteln als auch mit freundlicher Unterstützung der Sparkasse KölnBonn und der Gesellschaft zur Förderung der Photographischen Sammlung der SK Stiftung Kultur, Köln e.V. angekauft werden. Darüber hinaus zählen Dauerleihgaben und großzügige Schenkungen zur Präsentation.
Die Ausstellung zeigt Bekanntes und Unbekanntes und gibt einen Einblick in die sich kontinuierlich vergrößernde Kollektion der Photographischen Sammlung/SK Stiftung Kultur, die vor zwanzig Jahren mit dem Erwerb des umfangreichen August Sander Archivs ihren Anfang nahm. Insbesondere werden in Anbindung an den Bestand der Photographischen Sammlung/SK Stiftung Kultur verschiedene Aspekte des Sammelns beleuchtet.
Zu den Exponaten gehören einige wichtige Aufnahmen aus dem Projekt „Menschen des 20. Jahrhunderts“, die für die Sammlung gesichert werden konnten. Hierzu zählt ein 1926 entstandenes Portrait von Detmar Heinrich Sarnetzki, das Sander bereits 1929 in seine Publikation „Antlitz der Zeit“ aufgenommen hatte. Die Jahrzehnte währende Freundschaft zwischen beiden und die Wertschätzung, die beide einander entgegenbrachten, spiegeln ein weiteres Portrait von 1953 sowie eine Ausschnittvergrößerung der Hände Sarnetzkis mit einer von August Sander darunter montierten Schriftprobe des Schriftstellers, einem Werk aus dem Nachlass des Photographen.
Dass es sich bei den Aufnahmen aus dem Werkkomplex der „Menschen des 20. Jahrhunderts“ sehr häufig ursprünglich um Auftragsarbeiten gehandelt hat, wird anhand von Abzügen deutlich, die auf Atelierkartons aufgezogen, oft auch von Sander fertig gerahmt an die Auftraggeber verkauft wurden. Hierzu zählt beispielsweise ein aus Familienbesitz erworbenes Portrait von Lina und Hedwig Scharfenstein, das als „Proletariermutter“ von Sander neu vergrößert ins Projekt einbezogen wurde.
Aus Familienbesitz erworbene Photographien bilden grundsätzlich eine wichtige Quelle für die Rekonstruktion der Entstehung einzelner Aufnahmen. Mit Hilfe der Dargestellten oder ihrer Nachkommen gelingt es oft, bisher unbekannte Aufnahmen für das Gesamtwerk August Sanders zu sichern oder Verwandtschaftszusammenhänge herzustellen. So bilden auch Portraits ganz unterschiedlicher Provenienz in der Ausstellung thematische Gruppen. Familien- und Einzelportraits, oft auch zu verschiedenen Zeiten aufgenommen, spiegeln die fortdauernde Tätigkeit des Photographen im Westerwald.
Das Sujet der Landschaft gehört neben dem Portrait zum Grundrepertoire des Photographen, wie es die Werke aus der Frühzeit seines Schaffens zeigen. Im ersten Jahrzehnt des 20. Jh.s widmete sich August Sander in seinem Atelier in Linz an der Donau neben der Photographie auch noch sehr ausführlich der Malerei, was zwei etwa zeitgleiche Photographien Sanders in seinem Aufnahmeraum und an der Staffelei veranschaulichen. Neben Malerei und Photographie verbindenden Edeldrucken, wie der Gummiruck einer Westerwaldlandschaft, hat Sander die Photographie auch als Vorlage oder Anregung für seine Gemälde und Zeichnungen benutzt, was anhand eines fast identischen Blicks auf Hallstatt sowohl im Photo als auch im Pastell nachvollzogen werden kann.

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