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Galerie B des Frankfurter Kunstvereins


Lindenstraße 4
15230 Frankfurt/Oder
Tel.: 03 35 2 33 67
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Öffnungszeiten:

Di-Fr 14.00-18.00 Uhr

Alexandra Weidmann: Abmachen? Neumachen! - Marie Goslich revisited

10.07.2012 - 02.08.2012
Die Berliner Malerin Alexandra Weidmann stellt Ölbilder und Grafiken aus, deren Ausgangspunkt jeweils Fotografien der Fotografin Marie Goslich ist.
Man muss mit seinem Erbe arbeiten, damit es im kollektiven Gedächtnis bleibt. Die Fotografin Marie Goslich hatte das Pech durch einen Weltkrieg auf den Dachboden der Geschichte verbannt worden zu sein. Der glückliche Umstand, ihr Erbe in Form von Glasnegativen wiedergefunden zu haben, soll ein Stück weiter getragen werden, indem mit den Mittel der Malerei ihre Fotos neu gesehen werden. Es geht nicht darum, die Fotos möglichst originalgetreu wiederzugeben, sondern in einer heutigen Bildsprache neu zu formulieren. So werden die Fotos zur Arbeitsgrundlage, um ihren Inhalt mit einer eigenen Interpretation ohne ihn zu verleugnen neu zu präsentieren.
Zur Zeit Marie Goslichs gab es noch keine Farbfotografie. Aus dem scheinbaren Mangel entwickelte sie ihren Stil. In vielen Arbeiten verstärkt sie den Schwarz-Weiß-Kontrast. Am auffallendsten ist dies in Außenaufnahmen in einer winterlichen Umgebung. Das Hinzufügen von Farbe in den Gemälden nimmt einen Abstraktionsschritt der Schwarzweißfotografie zurück. Dies soll aber nicht zu einer realistischen Darstellung des fotografierten Originalgegenstandes führen, dessen Farbe sich meist sowieso nicht rekonstruieren lässt. Vielmehr soll durch die Farbwahl eine Stimmung erzeugt werden, die eine neue Interpretation des Fotos wiedergibt.
In vielen Fotografien von Marie Goslich halten sich Personen im Mittelgrund auf, so dass sie in ihre Umgebung eingebunden sind, diese aber nicht dominieren. Die Malerin Alexandra Weidmann hingegen stellt Personen nicht lose in den Bildraum. In ihren Kompositionen beherrschen die dargestellten Personen meist den Vordergrund bis an den äußersten Rand der Leinwand bzw. des Papiers. Die Personen werden in den Bildraum verkeilt. Hierdurch wird dem Betrachter nahegelegt, dass Portraits von Menschen immer nur Ausschnitte der gesamten Persönlichkeit darstellen können. Darüber hinaus werden die Personen aus einer ganz genau fixierten Zeit, der der Aufnahme des Fotos, in einen größeren zeitlosen Rahmen und damit ins Allgemeine übertragen. Die ausgewählten Personen sind primär nicht interessant aufgrund ihrer sozialen Lage. Vielmehr ist die Auswahl bestimmt durch die Menschlichkeit der Individuen, die die Malerin anspricht und berührt. Dabei schreckt die Malerin Alexandra Weidmann nicht davor zurück, Personen aus einer oder auch aus mehreren Fotografien völlig neu zu arrangieren. Auf diese Weise entstehen originäre, subjektive Sichten auf das Werk von Marie Goslich.
Marie Goslich wurde 1859 in Frankfurt an der Oder geboren. Sie arbeitete als Lehrerin, Redakteurin, Journalistin und Fotografin in Berlin, Potsdam und Geltow. Ungewöhnlich für eine Frau aus dem Bürgertum bildete sie nicht nur die Alltagskultur des beginnenden zwanzigsten Jahrhunderts ab, sondern prangerte soziale Missstände an. In ihren Artikeln wehrte sie sich gegen die Zerstörung der alten Infrastruktur in den Städten, nahm Stellung zu der Bodenreform und fotografierte in diesem Zusammenhang Berliner Innenhöfe, Gassen und Straßen, in denen sich noch kleine märkische Häuser befanden. Ein besonderes Augenmerk richtete sie auf Frauen und deren Arbeitsalltag auf dem Feld, im Garten und auf dem Hof.
Nach der Einweisung in die Landesheilanstalt Brandenburg-Görden 1937 wurde sie 1938 in die berüchtigte Landesheilanstalt Obrawalde „verlegt“, wo sie 1938 verstarb. Der Frankfurter Kunstverein hat 2012 für sie einen Stolperstein zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus gestiftet, der an der Heilbronner Ecke Franz-Mering-Str. an sie erinnert.

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