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vertretene Künstler

Rémy Markowitsch

Rémy Markowitsch - Bullish on Bulbs - Vom Spiel mit dem Glück

27.10.2007 - 19.01.2008
Geld ist nicht nur existenziell notwendig, es ist eine wahre Lust, Geld zu besitzen und zu vermehren. Und so macht nur wenig das Leben prickelnder als der Handel an der Börse und insbesondere mit Optionen, welche enorme Gewinne oder Verluste bringen können. Hier kommt der ganze Jagdtrieb, die Spielsucht, Sammelwut, Lust und das Hasardeurentum, die in jeder Seele hocken, zusammen zum Zug. Es ist ein Spiel mit dem Glück, das süchtig machen kann. Rémy Markowitsch greift in der Ausstellung «Bullish on Bulbs» in der Galerie EIGEN + ART, Berlin, dieses Lebensgefühl auf, das auch der Motor des Kapitalismus ist. Wie in allen seinen Projekten verarbeitet er auch hier die vielfältigsten Bezüge zu einem imaginären Raum der Verweise, doch öffnet die Sinnlichkeit und Verführungskunst der Objekte und Bilder die Tür zu diesem Raum. Rémy Markowitschs Arbeiten entstehen in der Auseinandersetzung mit den Themenfeldern Literatur und Forschung, Reisen und Entdeckungen, der Aneignung des Fremden, mit Kolonialismus, Sammelleidenschaft und Sucht. Gleichzeitig reflektieren sie die eingesetzten Medien Fotografie, Buch, Video oder Sprache. Licht - durchleuchten, belichten, beleuchten, erhellen - spielt dabei eine zentrale Rolle: Für die Serien «Nach der Natur» (1991-1998) oder «On Travel» (2004) etwa unternahm Markowitsch Expeditionen in die Bildwelten, die er in Büchern fand. Diese fotografischen Interpretationen der Welt durchleuchtete er im tatsächlichen wie übertragenen Sinn und fotografierte, was sich durch die Durchleuchtung zeigt, die beiden auf Vorder- und Rückseite eines Blattes sich befindenden Motive nämlich, die sich neu übereinanderlagern. Nach diesem Arbeitsprinzip entstehen die meisten seiner fotografischen Werke. Auch in «Bibliotherapy» (2001-2003), in der die riesenhafte, leuchtende Skulptur «Bonsai Potato» das Zentrum bildete, setzte sich Rémy Markowitsch mit dem Buch als Speicher des Wissens, der Gefühle und Erfahrungen auseinander. Während «Bibliotherapy» und «On Travel» in unterschiedlicher Weise die urmenschliche Lust, Wissen anzusammeln, thematisieren und u.a. das Lesen und Betrachten von Bildern als imaginäre Reisen, Leidenschaft und Sucht reflektieren, nimmt «You are not alone (Vol. 1)» (2004) auch die Bewusstseinszustände und Wahrnehmungen unter dem Einfluss der legalen Droge Alkohol und der Idee ihrer Prohibition in den Fokus. In erster Linie setzt sich Rémy Markowitsch im 2007 entstandenen Projekt «Bullish on Bulbs» am Beispiel der Zwiebeln mit dem Optionenhandel auseinander, also dem Spiel mit der Hoffnung auf Gewinn. So einfach Zwiebeln sein mögen, sie werden nicht nur in fast jedem alltäglichen Essen, sondern - etwa in Indien - über ihre Preise auch bis in die politische Elite hinauf wirksam; gesellschaftliche Unruhe zu hoher Lebensmittelkosten wegen kann sich keine Regierung leisten. Zwiebeln sind jedoch nicht nur potenziell Nahrungsmittel, sondern als Tulpen- oder Lilienzwiebeln sind sie optional Blumen - eine wunderschöne Metapher. Und: Der erste Börsencrash der Geschichte wurde 1637 durch den Zusammenbruch des Tulpenzwiebelhandels in Holland herbeigeführt. Die Tulpenzwiebeln, die aus China über das osmanische Reich nach Europa kamen, und die Zwiebeln, die man essen kann, stehen als Objekt gewordene Möglichkeitsform und Handelsgut symbolhaft für den menschlichen Umgang mit Dingen und Werten, und bieten Rémy Markowitsch darüber hinaus genug Komik, um Pathos zu verhindern. In der Ausstellung «Bullish on Bulbs» hängt ein rund 3 Meter hohes Polyester-Leuchtobjekt von der Decke. Es ist eine Zwiebel, die, ins Gigantische vergrössert, in ein sinnliches, merkwürdig aufreizendes Objekt transformiert ist. In der Börsensprache bezeichnet 'bullish' die Erwartung von steigenden Kursen, also von Gewinn, kurz: von Glück. Mit der Titel gebenden Serie Tulpenbilder «Bullish on Bulbs» zieht Rémy Markowitsch Bedeutungsfäden zum heute betriebenen, doch im 17. Jahrhundert ausser Rand und Band geratenen Handel mit Tulpenzwiebeln (für einzelne Knollen wurden damals Summen für ganze Häuser bezahlt). Er treibt das Spiel mit der ambivalenten Schönheit und Sexiness, also Markttauglichkeit, weiter und nimmt die Verbindung zum heutigen Börsenhandel auf, indem er zu jedem Bild je eine Option kombiniert, etwa die «American», «Asian» oder «European Option». Das Video «Bubbles and Tears» zeigt den turbanartig verbundenen Brausekopf einer laufenden Dusche (von ferne winken die Osmanen, die die begehrten Tulpenzwiebeln nach Europa geliefert haben), während über die Tonspur Szenen aus amerikanischen, asiatischen und europäischen Filmen zu hören sind, in denen geweint wird. Halb schaudert einen, halb muss man lachen: Das kapitalistische System ist ambivalent und vielfältig mit Lust-, Macht- und Ohnmachtgefühlen verbunden. Käufer und Verkäufer, Glück und Unglück brauchen einander. Im letzten Raum der Ausstellung öffnet Rémy Markowitsch das Spiel um Geld, Lust und Gier, das «Bullish on Bulbs» aufgreift, und wirft Licht auf ein neues Bedeutungsfeld im weit verzweigten Themenkomplex Markt - Geld - Politik: Mit dem Bild «The International Jew» (2007), einer Durchleuchtung, die ein Porträt des Autoproduzenten Henry Ford mit einer Luftaufnahme eines Ölfeldes mit Bohrtürmen der von John D. Rockefeller gegründeten Standard Oil Company zur Überlagerung bringt, thematisiert Rémy Markowitsch die Verstrickungen von Geldhandel, Antisemitismus, Politik, Industrie und Krieg. Das sind gewichtige Worte, komplexe politische, historische Themen. Doch Rémy Markowitsch findet eine Bildchiffre, die wie eine Gewitterwolke gleichsam leicht in der Luft schwebt, obwohl sie eine schwere Fracht trägt. Henry Ford nämlich kam durch die Besichtigung von Chicagos Schlachthöfen, wo er die Zerlegung von Schweinen in Einzelteile gesehen hatte, auf die Idee, diesen Prozess umzukehren. Die Massenproduktion der Autos durch Zusammenbau einzelner Teile am Fliessband, die fortschrittlichen Arbeitsbedingungen und vergleichsweise hohen Löhne, die er seinen Arbeitern bot (auf dass sie in der Lage sein sollten, ein Auto zu kaufen!), prägten einen der wichtigen Begriffe des Kapitalismus: den Fordismus. Weniger allerdings kommt Henry Fords ausgeprägter Antisemitismus zur Sprache. In seinem 1920 erschienenen Buch «The International Jew. The World's Foremost Problem» verbreitet er in kühl-gehässigem Tonfall antisemitische Klischees, die Theorie einer Verschwörung des Weltjudentums etwa, und schürt die Angst vor der angeblich gefährlichen Macht jüdischer Bankiers. Bei Adolf Hitler stiess das Pamphlet, das schon 1922 auf Deutsch («Der internationale Jude. Ein Weltproblem») erschienen war, auf mehr als offene Ohren. Ford erhielt 1938 das Adlerschild des Deutschen Reiches, die höchste Auszeichung, die an Ausländer verliehen wurde, und die Ford Motor Company konnte im Fertigungswerk in Berlin Autos und Kettenfahrzeuge für die Wehrmacht produzieren. Ford wirkte also massgeblich an den Kriegsvorbereitungen der Nationalsozialisten mit, soll aber nach Kriegsende Entschädigungszahlungen für die Bombardement-Schäden in seinen deutschen Fabriken erhalten haben - so weit die ökonomischen Verstrickungen. Mit «The International Jew» verzurrt Rémy Markowitsch die aberwitzigen Aspekte des Themas zu einer schwer-leichten Bildwolke. Sie führt das ganze Unglück mit sich, das Grosskapitalismus, Industrialisierung auch bedeuten können, und das Unglück, das Aufrüstung, Kriegsgewinnlertum, Antisemitismus, Rassismus immer bedeuten. Auch im Kunstmarkt hofft man nicht nur auf schöne Erkenntnisse und intellektuellen Lustgewinn, sondern ebenso auf Wertvermehrung, also ökonomische Machtsteigerung. Rémy Markowitsch bearbeitet in «Bullish on Bulbs» diesen einerseits vulgären, andererseits kompliziert verästelten Komplex mit analytisch-ironischem Gestus. Er fokussiert auf die Triebe, welche dieses Welt-Getriebe ökonomisch in Gang halten, wirft Schlaglichter auf wirtschaftliche und politisch-historische Zusammenhänge, ohne explizit politisch zu werden. Vielmehr ermöglicht «Bullish on Bulbs» eine sinnlich erlebbare Analyse der psychischen Mechanismen, die hinter dem Handel mit allem und jedem wirken, und ist damit ein visueller Essay über das optionale Denken, das auch der Motor des Lebens ist.

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